Verzögert versus spät
Implantation in regio 11 und 21 zu unterschiedlichen Zeitpunkten nach der Extraktion
Bei Restaurationen im Frontzahnbereich sind die Erwartungen der Patienten sehr hoch. Ästhetische Kompromisse sind nicht erwünscht und werden oft auch nicht toleriert. Damit es am Ende nicht zu unschönen Überraschungen kommt, muss das Behandlungsteam, bestehend aus Behandler, Chirurg und Zahntechniker, die Situation sorgfältig analysieren, den Patienten entsprechend aufklären und dann gemeinsam das Behandlungsziel festlegen. Viele Zahnärzte sind überzeugt, dass die Sofortimplantation die einzige Möglichkeit darstellt, sehr gute ästhetische Ergebnisse zu erzielen. Auch wenn wir in unserem Team bei entsprechener Indikation die Sofortimplantation gerne durchführen, müssen wir auch in vielen Fällen nach dem Konzept der verzögerten sowie der Spätimplantation verfahren. Dabei bemühen wir uns, dieses Konzept stets weiter zu optimieren – schließlich kann man sich die Fälle nicht aussuchen. Der hier gezeigte Patientenfall soll zeigen, wie wir bei einer verzögerten Sofortimplantation und Spätimplantation ein hoffentlich akzeptables Ergebnis erreichen konnten.
Indizes: Augmentation, Inzision, Sofortimplantation, Spätimplantation, verzögerte Implantation
Die Situation nach der Extraktion der Zähne 11 und 21 stellte sich folgendermaßen dar: Der überweisende Zahnarzt schickte uns den Patienten zur Implantation (Abb. 1 und 2). Die hohen ästhetischen Ansprüche des Patienten und die mäßige Motivation zur Mundhygiene waren eine große Herausforderung im Hinblick auf eine erfolgreiche (Langzeit-)Therapie. Der Zahn 11 war acht Wochen zuvor entfernt, der Zahn 21 hingegen bereits vor sechs Monaten extrahiert worden. Diese Tatsache macht den Fall besonders interessant, da hier sehr schön die entsprechenden Kieferkammregionen miteinander verglichen werden können. Die Abbildung 3 zeigt deutlich, dass die Anatomie in regio 11 mit der erst kürzlich durchgeführten Extraktion deutlich besser erhalten ist als in regio 22. Die von dem Kollegen eingesetzte langzeitprovisorische Brücke ist zwar ästhetisch gestaltet und soll die Papillen sowie den Ponticbereich entsprechend ausformen, ist jedoch sehr störend für die gesunde und stabile Ausheilung der Gingiva im OP-Bereich. Hier ist ein primärer, dichter und sicherer Wundverschluss immer zu bevorzugen. Aus diesem Grund formen wir die Weichteile erst nach erfolgter Implantation aus. In diesem Fall galt es, nicht noch mehr Zeit zu verlieren und schnellstmöglich zu intervenieren – so gewebeschonend wie möglich mit minimalinvasiver Schnittführung, denn aufbauen ist schwieriger als erhalten (Abb. 3 und 4).
Der OP-Verlauf
Zwei Stunden vor der OP erhielt der Patient eine Antibiotikumprophylaxe mit 3 g Amoxicillin. Die krestale Inzision erfolgte im palatinalen Bereich hinter den Extraktionswunden. Die Nachbarzähne wurden mit einer Sulkusinzision ohne vertikale Entlastung umschnitten. Palatinal führten wir aus zwei Gründen eine vertikale Entlastung mesio-palatinal in regio 21 durch: Erstens benötigten wir auf dieser Seite mehr Flexibilität im Lappen und zweitens wollten wir die Dimension des Nervus palatinus major genau festlegen, um diesen eventuell verlegen zu können. Im oberen Bereich kam ein klassischer Volllappen, der in einen bukkalen Spaltlappen überging, zum Einsatz, um einen spannungsfreien Wundverschluss zu gewährleisten. Während bei der Seite mit der verzögerten Sofortimplantation die Alveole des Zahns so gut wie vollständig erhalten war, zeigte sich auf der Spätimplantationsseite ein deutlich reduzierter Alveolarkamm in horizontaler wie bukko-vertikaler Dimension. Die beiden Seiten erforderten nun eine unterschiedliche taktische Herangehensweise, um anschließend zu einem identisch guten Ergebnis zu gelangen. Entscheidend hierzu war der Erhalt und das Nichteröffnen des Bereichs um die ehemals mittlere zentrale Papille (Abb. 5 bis 7).
Taktik regio 11
Die Implantation erfolgte im palatinalen Anteil der Alveole mit vorheriger Ankörnung der palatinalen Alveolenwand und einem unterdimensionierten Aufbereiten des finalen Implantatbetts. Das Implantat wurde 3 mm unter den Bereich des späteren idealisierten Sulkus positioniert. Der Implantatdurchmesser betrug 3,8 mm, um einen möglichst großen Abstand von allen zu schonenden benachbarten Strukturen zu manifestieren, zum Beispiel einen wünschenswerten Abstand von 5 mm zwischen den beiden Implantaten.
Taktik regio 21
Die Implantation erfolgte in den palatinalen Anteil des Kieferkamms. Mit dem frühzeitigen Einsatz eines Osteotoms wurde der Knochen gegen den Defekt nach bukkal getrieben. Die Richtlinien der 3D-Positionierung wurden wie beim ersten Implantat angewendet. Beide Implantate waren letztlich primärstabil und auf einer Höhe inseriert (Abb. 8 und 9).
Augmentation des Hartgewebes in regio 11
Das Innere der Alveole wurde mit in Blut getränkten BioOss-Partikeln zum Stabilisieren eines Blutspiegels eingelegt.
Augmentation des Hartgewebes in regio 21
Ersatzmaterial boviner Herkunft wurde zur Verdickung des Kieferkamms bukkal aufgelagert. Vorher wurde der Kieferknochen perforiert. Das aktiviert die Heilung und gibt mechanischen Halt. Das Implantat war so oder so vollständig mit autologem Knochen umgeben.
Während der Augmentation wurden die Deckschrauben auf die Implantate aufgetragen, später wurden sie durch 4 mm hohe Bottle-Nek-Gingivaformer ausgewechselt. Die Spitzen der Gingivaformer sollten das Weichgewebe nach oben stabilisieren (Abb. 10 und 11).
Als Augmentationsschutz wurde eine Bio-Gide-Membran verwendet, deren kleine Perforation über die Implantate gezogen wurde (Abb. 12). Die Membran wurde jeweils unter das Periost gelegt. Anschließend erfolgte ein spannungsfreier Wundverschluss mit Mono filen Nähten 6.0. Trotz des minimalinvasiven Vorgehens konnte bis dato ein gutes Kieferkamm volumen aufgebaut werden. In der horizontalen Ebene ist dies mit der eingesetzten Brücke bereits gut zu erkennen. Der Ponticbereich wurde vorher natürlich im Bereich der Gingivaperforationen komplett entlastet (Abb. 13 bis 18). Es zeigten sich ein und vier Wochen nach der Implantation gesunde und reizfreie Verhält nisse (Abb. 19 bis 21).
Finale Situation nach vier Monaten Einheilzeit
Das Gewebe zeigte sich gut erhalten und gesund. Die Freilegung wurde nur mit einer kleinen palatinalen Inzision durchgeführt. Die eingesetzten plattformgeswitchten Gingivaformer verdrängen so zusätzlich Weichgewebe nach labial (Abb. 22 bis 26).
In der Praxis
Zwei Wochen nach der Freilegung wurde vom überweisenden Zahnarzt die erste Abformung für die Prototypen-Kronenversorgung (Provisorium) durchgeführt. In einem zweiten Schritt konnten die Implantatkronen im plattformverkleinerten Modus eingesetzt und an die Gingivastrukturen angepasst werden.
In den folgenden vier Monaten wurde der Patient noch dreimal in die Praxis einbestellt. Dabei wurde durch Kompositauftrag an der Komposit- Implantatkrone Druck aufgebaut und das Weichgewebe entsprechend manipuliert. Nach dieser Zeit konnte davon ausgegangen werden, dass die anatomische Situation stabil war. Der überweisende Zahnarzt hat daraufhin die Implantate mit individuellen Abformstiften erneut abgeformt.
Im Labor
Das Emergergenzprofil wurde im Labor von Uwe Gehringer, München, noch etwas weiter ausgeweitet. Die finalen Kronen (12, 22 natürliche Zähne und 11, 21 Implantatkronen) wurden in Zirkon oxid – Verblendkeramik ausgeführt, wobei die Implantate wie die Prototypen-Variante als verschraubte Krone ausgeführt wurden. Der palatinale Kanal wurde hierbei im oberen Bereich geätzt angeliefert, um eine möglichst optimale Verbindung von Keramik mit dem zu verschließenden Komposit zu etablieren (Abb. 27 bis 29).
Nach einer Rohbrand- und einer Ästhetikanprobe war dieses Ergebnis erreicht und vom Patienten als gut befunden. Das gelingt jedoch nur im direkten Kontakt zwischen Zahntechniker und Patienten. Ohne die enge Zusammenarbeit von Patient und Zahntechniker in dessen Labor sind diese Ergebnisse nicht (einfach) zu erreichen. Die Kronen auf den natürlichen Zahnstümpfen wurden mit Ketac Cem zementiert. Die Implantatkronen wurden nach der sorgfältigen Spülung der Implantate und dem Einbringen des Chlorhexamed Gels eingeschraubt. Die Verschraubung wurde nach fünf Minuten mit 30 Ncm erneut nachgezogen. Anschließend wurde der Schraubenkanal mit Tempit und Flow-Komposit definitiv verschlossen.
Fazit
Weiße und rote Ästhetik geben ein natürliches Aussehen wieder. Der Patient war mit der Restauration sehr zufrieden. Es ist nicht ersichtlich, auf welcher Seite der Implantate welche Technik angewendet wurde, obwohl in beiden Regionen ein anderer Implantationszeitpunkt und damit ein anderes Vorgehen induziert wurde. Dieser Fall zeigt sehr schön, dass das vermeintlich einfachere und ästhetisch vorhersagbarere verzögerte Sofort implantat dem Spätimplantat nicht den Rang ablaufen konnte. Zum Glück kommt es nicht immer darauf an, wann man etwas tut, sondern vielmehr wie es gemacht wird. Ohne das hervorragende Teamwork zwischen Implantologe, Prothetiker, Zahntechniker und Patient wäre das Ergebnis so oder so für uns nicht möglich gewesen. Der Schlüssel zum Erfog war für mich allerdings die gewählte, minimal invasive Schnittführung mit dem Ziel, das Gewebe zu erhalten. Die finalen Röntgenbilder unterstreichen das stabile Ergebnis; die Osseointegration scheint in den zu beurteilenden zwei Dimensionen gut zu funktionieren (Abb. 37 und 38).
- Abb. 1 Ausgangssituation mit Messkugel für die Implantationsplanung in regio 11 und 21
- Abb. 2 Röntgenbild nach der Implantation
- Abb. 3 und 4 Ausgangssitua tion: Die Gingiva war bereits durch die Provisorien mit Pontic-Arealen ausgeformt worden – leider, denn dadurch war das Weichgewebe bereits „vorgeschädigt“
- Abb. 5 Die Schnittführung bei der Implantation erfolgte unter Schonung der zentralen Papille
- Abb. 6 Das unterschiedlich ausgeheilte Knochenlager in regio 21 …
- Abb. 7 … und in regio 11 ist deutlich erkennbar
- Abb. 8 Das fertig aufbereitete Implantatbett …
- Abb. 9 … und die palatinal orientierten Implantate
- Abb. 10 Augmentation des bukkalen Alveolenanteils in regio 11 …
- Abb. 11 … und aufgebrachter Gingivaformer
- Abb. 12 Bio-Gide- Kollagenmembran mit Perforation zur Stabilisierung durch die Gingivaformer
- Abb. 13 Augmentation des bukkalen Kieferkammanteils in regio 21
- Abb. 14 bis 18 Abdeckung mit der Bio-Gide-Membran und dem entsprechendem Nahtverschluss – Schritt für Schritt
- Abb. 19 und 20 Die provisorische Brücke ist mit ausgeschliffenen Pontikarealen versehen, um der Schwellung Raum zu geben
- Abb. 21 Der bukkale Kieferanteil ist auf beiden Seiten gut erhalten
- Abb. 22 bis 25 Die Freilegung der Implantate gestaltete sich bei gut erhaltener Kieferkammstruktur einfach
- Abb. 26 Laterale Ansicht mit scheinbar gut erhaltener Weichgewebsarchitektur
- Abb. 27 bis 29 Die finalen Zirkonoxid- Kronen auf dem Modell: Die Kronen in regio 12 und 22 auf natürlichen Zahnpfeilern; die Kronen in regio 11 und 21 als verschraubte einteilige Implantatvariante
- Abb. 30 bis 32 Situation direkt nach dem Eingliedern der Kronen auf den Zähnen 12 und 22 und den Implantaten in regio 11 und 21
- Abb. 33 Die Frontzähne gliedern sich harmonisch …
- Abb. 34 und 35 … in das orale Umfeld ein. Zahntechnische Ausführung: Uwe Gehringer, München
Produktliste
Produkt | Produktname | Firma |
---|---|---|
Abutment | Vario SR | Camlog |
Befestigung/Kronen | Ketac Cem | 3M Espe |
Implantate | Screw Line Promote Plus | Camlog |
Klebebasis | Titanbasis CAD/CAM | Camlog |
Knochenersatzmaterial | BioOss | Geistlich Biomaterials |
Membran | BioGide | Geistlich Biomaterials |
Verblendkeramik/ZrO2 | Creation ZI-CT | Creation Willi Geller |
Verschluss Schraubenkanal | Tempit | Centrix |
Verschluss Schraubenkanal | Tetric EvoFlow | Ivoclar Vivadent |
Praktische Implantologie und Implantatprothetik PIP Fotostory
März 2015
Dr. Peter Randelzhofer