Implantologie – Drei Fragen an drei Experten
Eine Longitudinalstudie über zwei Jahre Beobachtungsdauer.
Plättchenreiches Fibrin (PRF) ist als autogenes Blutprodukt zur Wundheilungsförderung zurzeit ein großes Thema auf Tagungen und in den Fachmedien. Durch seinen Einsatz in der oralen Chirurgie sind häufig keine oder in geringerem Umfang Ersatzmaterialien erforderlich als mit anderen, insbesondere klassischen GER-Verfahren.
Wie schon beim plättchenreichen Plasma (PRP) gibt es für PRF eine Reihe von Zubereitungsmethoden, die zu heterogenen Produkten führen. Im Gegensatz zu PRP enthält das Fibrin in PRF eine hohe Konzentration von Leukozyten. Es wird deshalb auch als Leukocyte and Platelet Rich Fibrin (L-PRF) bezeichnet. Je nach Verarbeitungsstufe liegt PRF/L-PRF in flüssiger oder durch Gerinnung gelartig-fester Phase vor. Die aktuellen Einsatzgebiete sind ebenfalls vielfältig, offizielle Empfehlungen für einzelne Indikationen noch nicht publiziert.
Dr. Jan H. Koch befragte drei ausgewiesene Experten auf dem Gebiet der regenerativen Oral- und Kieferchirurgie nach ihrer Bewertung der Datenlage und praxisbasierten Empfehlungen.
Frage 1: Wie wirkt PRF?
Prof. Dr. Dr. Henning Schliephake: Bei der Verwendung im Rahmen von Kieferkammaufbauten hat PRF vermutlich einen günstigen Effekt auf die weichgewebige Heilung über dem Augmentat. Dies könnte darauf beruhen, dass die mesenchymale Zellproliferation gefördert wird. Das Risiko für Dehiszenzen kann so reduziert und als Folge der ungestörten Regeneration indirekt auch die knöcherne Heilung verbessert werden. Einen direkten Einfluss auf die Knochenneubildung hat PRF aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht.
Die für die Knochenregeneration notwendige Differenzierung von mesenchymalen Vorläuferzellen in Osteoblasten im Wundbereich hängt von vielen Faktoren ab, unter anderem vom Potenzial des Gewebes, Blutgefäße zu bilden. Diese spontane Angiogenese hat ihre Grenzen irgendwo bei einer Reichweite von drei Millimetern. Ob eine vollständige Knochenregeneration im Augmentat erfolgt, hängt also – unter anderem – von der Geometrie des Defekts ab, also dessen Höhe und Breite. Auch hier könnte PRF durch die Förderung der Angiogenese einen positiven Effekt erzielen. Das ist aber bisher nicht nachgewiesen worden. Den im PRF enthaltenen Wachstumsfaktoren fehlt aufgrund ihrer Zusammensetzung das Potenzial, die knöcherne Differenzierung der regenerierenden Zellen direkt zu induzieren oder zu fördern. Eine hin und wieder berichtete Verbesserung der Knochendichte in Sinusbodenaugmentationen könnte durch die spezielle Situation des geschlossenen regenerativen Raums bedingt sein.
Prof. Dr. Dr. Dr. Shahram Ghanaati: PRF wirkt als eine mechanische und zelluläre Matrix und begünstigt die Prozesse während der Wundheilung. Die einzelnen Phasen der Wundheilung verlaufen daher nicht nacheinander, sondern parallel. Damit kommt es vor allem in der Mundhöhle zu einer beschleunigten Wundheilung.
Dr. Claudia Cacaci: Die beschleunigte Regenerationsfähigkeit von PRF zeigt sich in der Dermatologie. Zum Beispiel sind die Heilungsergebnisse bei Verwendung von PRF bei Verbrennungen oder nicht heilenden Ulzera erstaunlich [2, 3]. In der Oralchirurgie einschließlich Implantologie sehen wir Ähnliches: Die Wundheilung wird beschleunigt, sodass wir mit PRF hergestellte „Membranen“ seit vielen Jahren routinemäßig mit großem Erfolg einsetzen. Die Blutentnahme vor dem Eingriff führt zu keiner zusätzlichen Morbidität, die Herstellung ist technisch einfach und kostengünstig. Zusätzlich erfordert das entstehende Blutprodukt im Gegensatz zu anderen keine pharmazeutische Zulassung.
Frage 2: Welche Indikationen gibt es aktuell in der oralen Chirurgie?
Schliephake: Die angekündigte S3-Leitlinie zum Einsatz von PRF in der Implantologie nennt die Unterstützung der Alveolenheilung bei kieferkammerhaltenden Maßnahmen (Ridge Preservation). Das gilt aber nur, wenn PRF allein eingesetzt wird. In Kombination mit einem Knochenersatzmaterial ist gegenüber dem Einsatz der Ersatzmaterials ohne PRF kein zusätzlicher Effekt nachweisbar, und es gibt daher keine entsprechende Empfehlung.
Ghanaati: Zunächst sollte man sich darüber im Klaren sein, warum man PRF benutzen möchte. Wer Blutprodukte auf der Basis von PRF zum Beispiel als Ersatz für eine Kollagenmembran beim primären Wundverschluss verwendet, sollte verinnerlichen, dass sie nicht alle Fehler des Operateurs verzeihen werden. Sieht man aber PRF als neuartige Therapiealternative, so gibt es Daten für eine Reihe von Indikationen. Zum Beispiel lassen sich allein mit PRF kleine Perforationen der Schneiderschen Membran als Ersatz für eine Rehrmann-Plastik verwenden. Auch belegen Daten, dass durch den Einsatz von PRF die Alveole schneller verheilt und damit die Gefahr einer Alveolitis sicca abnimmt.
Cacaci: Eine wichtige Indikation besteht bei Patienten mit einem reduzierten oder gestörten Knochenstoffwechsel, vor allem als Folge von Medikation zum Beispiel mit Bisphosphonaten. Ziel ist hier, vor postoperativen Komplikationen zu schützen.
Studien zufolge führt die Wundauffüllung mit PRF nach Osteotomie von Weisheitszähnen zu besserer und komplikationsärmerer Wundheilung. Werden Alveolen nach der Zahnentfernung mit PRF gefüllt, zeigt sich ebenfalls eine beschleunigte Abheilung, sodass die Indikation KieferkammErhalt (Ridge Preservation, Anm. d. Red.} in die Leitlinie aufgenommen wird. Einen weiteren interessanten Einsatz sehe ich bei der Sinusbodenelevation. Beim simultanen Einsatz der Implantate wird der subantrale Raum ausschließlich mit PRF-Clots (Koagel, Anm. d. Red.} aufgefüllt. Dieser verknöchert völlig autolog, sodass keine Fremdmaterialien verwendet werden müssen. Dies ist ein Ansatz, den ich schon seit Jahren verfolge und auf die interne Sinusbodenelevation ausgeweitet habe.
Frage 3: Welches zukünftige Potenzial sehen Sie?
Schliephake: Thrombozytenkonzentrate werden mittlerweile sehr vielfältig eingesetzt, wobei viele Anwendungen nicht oder noch nicht evidenzbasiert sind. Wahrscheinlich werden sich neben der Ridge Preservation im Lauf der Zeit einzelne begrenzte Indikationen herausbilden, zum Beispiel ist der Einsatz nach Weisheitszahnentfernung durch systematische Reviews belegt. Will man die Aussagekraft von Berichten über bestimmte Indikationen beurteilen, sollte man aber immer die hohe Spontanheilungsfähigkeit oraler Weichgewebe im Blick behalten. Daher sind Studien, bei denen keine PRF-freie Kontrollgruppe behandelt wurde, im Hinblick auf den Wirkungsnachweis in einer Indikation wertlos.
Ghanaati: Der Einsatz von PRF und vor allem die Mischung mit Knochenersatzmaterialien zur Herstellung von sogenanntem ,,Sticky Bane“ eröffnet großartige Perspektiven, um mit patienteneigenen Zellen und Wachstumsfaktoren „tote“ Materialien zu biologisieren. Darüber hinaus sehe ich chirurgisch die Möglichkeit, im Sinne eines ,,Guided Open Wound Healing“ in geeigneten Indikationen eine Lappenmobilisierung und die häufig damit verbundene Verstreichung des Vestibulums zu vermeiden.
Cacaci: Ob PRF auch die knöcherne Heilung fördert, ist bis dato nicht wissenschaftlich bestätigt. Eingesetzt wird PRF aber schon seit einiger Zeit zur Biologisierung von Knochenersatzmaterialien. Durch die Anmischung mit flüssigem PRF erhalten wir eine Verklebung des partikulären Augmentats. Das erweist sich nicht nur hinsichtlich der Applikation als vorteilhaft, sondern verspricht auch durch die zusätzliche Lagestabilisierung zu Beginn der Heilung bessere Ergebnisse. Hier wird uns die Forschung in Zukunft noch Antworten liefern.