Implantologie wird biologischer - und damit medizinischer

Nachbericht zum 36. DGI-Kongress: Indikation, Augmentation, Prothetik und Periimplantitis als zentrale Themen.

Unter dem Motto „Biologie-unser Kompass in der Implantologie“ ori­entierte sich die Deutsche Gesell­schaft für Implantologie (DG!) kon­sequent an biologischen Aspekten. Laut DGI-Präsident Prof. Dr. Florian Beuer ist die Wissenschaft vom Le­ben „Katalysator, der alle beteilig­ten Gebiete miteinander vernetzt“. Rund 2.000 Teilnehmer verfolgten vom 24. bis 26. November 2022 das umfangreiche Hybridprogramm, davon die große Mehrheit vor Ort in Hamburg.

Knochenaugmentation – autogen, xenogen oder allogen?

Die Frage, ob für Augmentationen Eigenknochen oder Ersatzmateria­lien verwendet werden sollten, wird seit Langem intensiv disku­tiert. Als Alternative zur Khoury­-Technik werden bei der Semilunar­technik halbmondförmige, auto­gene Knochenschalen aus dem posterioren, vestibulären Unter­kiefer entnommen. Wie sich mit der Methode die osteo-induktive und osteogenetische Potenz des Knochens schonend, sicher und auch zeitsparend nutzen lässt, zeigte Dr. Frank Zastrow, niederge­lassen in Wiesloch bei Heidelberg. Die Methode ist nicht zu verwech­seln mit der parodontalchirurgi­schen Semilunartechnik zur De­ckung multipler Rezessionen.

Das Prinzip eines mechanisch stabilen, vor Einwanderung von Weichgewebszellen geschützten Raums wird auch bei der Tent-Po­le-GBR-Technik genutzt. Professor Dr. Stefan Fickl (Universität Würz­burg) demonstrierte, wie dabei Os­teosynthese-Schrauben als „Zelt­stangen“ fungieren. Sie stützen Pe­riost und Weichgewebe dauerhaft ab und schaffen Platz für Augmen­tationsmaterial. Zur Deckung von Augmentat und Schrauben nutzt Fickl eine mit Ribose kreuzver­netzte Kollagenmembran. Werden die von ihm verwendeten autogenen und xenogenen Knochenpar­tikel mit Hyaluronsäure gemischt, lassen sich die Resultate weiter ver­bessern, erläuterte Fickl anhand ei­ner aktuellen, noch unveröffent­lichten Studie.

Wie bei der autogenen Schalen­technik fungiert bei allogenen Blö­cken von Knochenspendern die Kortikalis als Resorptionsschutz. Dr. Frank-Michael Maier, MSc, MSc, niedergelassen in Tübingen, disku­tierte eine Studie, die allogenem Knochen verfahrenstechnische Vorteile gegenüber autogenem Material bescheinigt. Allogene Transplantate seien gleichwertig mit avaskulären Autotransplanta­ten, das Restrisiko einer Infekti­onsübertragung sei minimal, und es gebe keine klinisch relevanten Immunreaktionen.

Effektivität versus Patientenfreundlichkeit

Autogene Weichgewebstransplan­tate bevorzugt Professor Dr. Mi­chael Stimmelmayr (Universität München und niedergelassen in Cham) gegenüber xenogenen: „Weil Sie besser funktionieren und offen einheilen können, während man Ersatzmaterialien immer ab­decken muss.“ In Bezug auf die Morbidität gibt es nach seiner per­sönlichen Erfahrung bei Entnah­me am Tuber praktisch keine postoperativen Beschwerden. Bei Frei­legung des Fett- und Drüsengewe­bes am dorsalen, lateralen Gau­men verzögere sich jedoch die Wundheilung, mit entsprechend mehr Schmerzen. Zwischen der Entnahme mit Lappen- und offe­ner Technik bestehe kein Unter­schied in der Morbidität. Aller­dings beschleunige eine xenogene Kollagenmatrix die Wundheilung in der ersten Woche und führe zu schnellerer Reepithelisierung.

Den signifikant höheren Gewinn an periimplantärer Weichgewebs­dicke bei Verwendung autogener Bindegewebstransplantate im Ver­gleich zu xenogenen bestätigte Professor Dr. Daniel Thoma (Uni­versität Zürich). Auch ein neuer Konsensusreport unter Beteili­gung der DGI bestätigt Bindege­webstransplantate als Standard und bescheinigt dieser Behand­lung das beste ästhetische Outco­me. Thoma verwies jedoch nachdrücklich darauf, dass Gewe­beersatzprodukte wegen kürzerer Operationszeiten und geringerer Schmerzen für Patienten attraktiv sind [6]. Dies sei in der täglichen Praxis ein zentraler Faktor.

Eine weitere Alternative zu auto­genen Transplantaten präsentierte Privatdozent Dr. Gerhard Iglhaut, niedergelassen in Memmingen, mit der porcinen azellulären der­malen Matrix (PADM). Diese erlau­be beim Weichgewebsaufbau sehr gute ästhetische Ergebnisse, bei deutlich reduzierter Morbidität und unbegrenzter Verfügbarkeit. Wie eine angesehene Forscher­gruppe um Prof. Dr. Anton Scule­an (Universität Bern) in vitro zei­gen konnte, werden PADM-Pro­dukte effizient adsorbiert und set­zen eine hohe Menge an Wachs­tumsfaktoren frei.

Knochenersatzmaterialien und Implantate biologisieren

Die Nutzung von Platelet Rich Fib­rin (PRF) und Hyaluronsäure für Wundheilung und Augmentatio­nen – im Sinne einer Biologisie­rung – diskutierten in Hamburg mehrere Referenten, mit zum Teil widersprüchlichen Bewertungen (vergleiche auch Bericht Oral Re­construction International Sym­posium, dzw Nr. 45/2022, S. 12-13, mehr zum Thema in der nächsten dzw OI). Für PRF gibt es Evidenz bisher nur zu kieferkammerhal­tenden Maßnahmen (Ridge Preser­vation, S3-Leitlinie angekündigt). In der Praxis wird das durch Zent­rifugieren gewonnene Eigenblut­produkt zum Beispiel auch in Kom­bination mit Knochenersatzmate­rialien und PADM genutzt.

Um die Anlagerung von Blut und Knochen zu erleichtern und die Osseointegration zu verbessern und zu beschleunigen, lassen sich Implantatoberflächen mit UV­-Licht oder kaltem Plasma funktio­nalisieren (mehr auch zu diesem Thema in der nächsten dzw OI). Der in München niedergelas­sene Oralchirurg Dr. Claudio Caca­ci wies darauf hin, dass Implantate in ihren Verpackungen altern. Auf den Oberflächen lagern sich Hyd­rokarbongruppen ab, die gleich ei­ner Teflonbeschichtung Blut- und Gewebezellen von einer Anlage­rung abhalten. Mit neu verfügba­ren Plasmaaktivierungsgeräten lassen sich Implantate chairside hydrophilisieren.

Vollkeramik oder Nummer sicher?

Prognostisch sind implantatpro­thetische Versorgungen aus Me­tallkeramik gegenüber vollkerami­schen klar im Vorteil [12]. Das gilt laut Dr. Karin Groß und Dr. Taskin Tuna (beide Universität Aachen) vor allem für Extensionsbrücken auf einem Implantat, verschraub­te mehrgliedrige Brücken und Ganzkieferversorgungen, oder bei geringem Interokklusalabstand. Um störende farbliche Effekte zu vermeiden, helfen optimale Pla­nung und Implantatpositionie­rung, ausreichende Gewebedicke und anodisierte oder mit Titanni­trid beschichtete Implantatschul­tern und Abutments. Prothetik auf der Basis von NEM-Legierun­gen sollte für gute biologische Ver­träglichkeit beryllium- und nickel­frei, mit CAD/CAM-Verfahren her­gestellt und fachgerecht poliert sein.

Da Langzeitdaten für implantat­getragene Vollkeramik fehlen, gibt es auch noch keine entsprechen­den Empfehlungen. Das seit vielen Jahren gemeinsam referie­rende Duo Carsten Fischer (Zahn­techniker, Frankfurt am Main) und Privatdozent Dr. Peter Gehrke (Pra­xis Prof. Dr. Günter Dhom, Lud­wigshafen) empfiehlt dennoch auf­grund guter eigener Erfahrung für den Seitenzahnbereich monolithi­sches, also unverblendetes Zirkon­oxid. Für den ästhetischen Bereich bevorzugen beide Keramiken mit hoher Transluzenz, zum Beispiel Lithiumdisilikat auf Titanklebeba­sen. Mit mehrschichtigem mono­lithischem Zirkonoxid der fünften Generation lassen sich laut Fischer und Gehrke gute Ästhetik und Be­lastbarkeit kombinieren. Erfolgs­entscheidend seien bei allen Kon­zepten die korrekte Indikations­stellung und eine saubere, standar­disierte Verarbeitung im Labor.

Periimplantitistherapie – kombiniert am effektivsten?

Die gute Nachricht zuerst: Nicht­chirurgische Periimplantitisther­apie kann funktionieren – bei im­merhin vier von fünf Taschen über 6 mm Sondierungstiefe, auch oh­ne systemische Antibiose. Dies ge­lang nach einer von Professor Dr. Jamal Stein, MSc (Universität Aa­chen, zusätzlich in eigener Praxis tätig), präsentierten eigenen Stu­die am besten, wenn Oberflächen­bearbeitung mit Ultraschall und Airflowing (Airpolishing), Küret­tage infizierten Weichgewebes und adjuvantes mehrmaliges Spülen mit Povidon-Jod-Lösung kombi­niert wurden [15]. Einschränkun­gen gebe es vor allem aufgrund un­günstig gestalteter Suprakon­struktionen, die den Zugang für persönliche und professionelle Maßnahmen erschweren.

Bei Mukositis sind dagegen adju­vante Verfahren nach einer aktu­ellen Übersicht nicht wirksam [16]. Die effektivste und zugleich ver­träglichste mechanische Dekonta­minationsmethode ist nach Steins Literaturanalyse Airflowing mit Glyzin oder Erythritol-Pulver. Um den Übergang zu einer nicht mehr reversiblen Periim­plantitis zu verhindern, sollte jede Mukositis im Rahmen der Nach­sorge möglichst umgehend behan­delt werden: ,,Sie haben nur einen Versuch, beim zweiten Mal funk­tioniert es nicht mehr.“

Die am besten dokumentierte chirurgische Therapiemethode ist laut Professor Dr. Frank Schwarz (Universität Frankfurt am Main) die Implantatplastik. Die Glät­tung strukturierter Oberflächen mit rotierenden Instrumenten re­duziert Sondierungstiefen um durchschnittlich 3,4 Millimeter, was mit keinem anderen Verfah­ren erreichbar sei. Implantatplastik lässt sich laut Professor Schwarz zudem gut mit Augmentationen kombinieren, die für dreiwandige Defektbereiche angezeigt sind. Ob zusätzliche Weichgewebsaugmentationen Vorteile bringen, ist laut Professor Dr. Patrick Schmidlin (Universität Zürich) nicht bekannt. Eine überarbeitete deutsche S3-Leitlinie zur Periimplantitistherapie befin­det sich nach Auskunft von Frank Schwarz im letzten Verfeinerungs­stadium.

Periimplantitis lässt sich als chronische Wunde definieren. Um auf mögliche systemische Ri­siken zeitnah reagieren zu können, mahnte DGI-Past-Präsident Profes­sor Dr. Dr. Knut Grötz (Dr.-Horst­Schmidt-Kliniken, Wiesbaden), bei allen Patienten regelmäßig die Anamnese zu aktualisieren. Hoch interessant ist in diesem Zusam­ menhang, dass regulatorische T­-Zellen in periimplantären Defek­ten die Immunantwort unterdrü­cken. Der Vortrag von Emilia Caf­ferata, PhD (Universität Frankfurt am Main), zur Studie seiner Ar­beitsgruppe wurde als einer der drei Besten im Forum Wissen­schaft von DGI und Osteology Foundation ausgezeichnet.

Implantate: Ja oder Nein?

Folgerichtig im Hinblick auf das Ta­gungsthema befasste sich bereits die erste Session am Freitag mit der Fragestellung, ob nicht der eigene Zahn doch das bessere Implantat sei. Dr. Josef Diemer, niedergelas­sen in Meckenbeuren, demonst­rierte, wie er frakturierte Zähnen mit Brackets und elastischem Draht extrudiert und endodon­tisch-restaurativ versorgt (Oralme­dizin-kompakt-Beitrag folgt).

Kommen Implantate altersbe­dingt – zum Beispiel bei Nichtan­lagen – bei verengten Lücken im Frontzahnbereich oder aus finan­ziellen Gründen (noch) nicht infra­ge, sind Adhäsivbrücken eine vali­de Behandlungsoption. Professor Dr. Matthias Kern (Universität Kiel) wies darauf hin, dass diese Thera­pie seit 2016 zur gesetzlichen Re­gelversorgung gehört und Patien­ten daher über diese Möglichkeit aufgeklärt werden müssen.

Zum Thema Implantatindikati­on ergänzte Dr. Claudio Cacaci in derselben Session, dass bei Patien­ten mit Hang zur Selbstoptimie­rung Vorsicht geboten sei: ,,Sie müssen selbst überlegen, ob Sie ei­ne Diskussion über einen Millime­ter fehlendes Zahnfleisch auf sich nehmen wollen.“ Patienten, die wegen Depressionen mit Seroto­nin-Wiederaufnahme-lnhibitoren (SNRI) behandelt werden, haben re­duzierte Implantaterfolgsraten. Laut Cacaci ist aber unklar, welche Rolle die Medikamente, die Erkrankung selbst oder auch auf­grund der Erkrankung nicht wahr­genommene Nachsorgetermine spielen.

Fazit

Der DGI-Kongress in Hamburg bot das gewohnte weite Spektrum an Fachinformationen, wobei einige Themen in diesem Bericht leider nicht berücksichtigt werden konn­ten. Auffällig war der in diesem Jahr besonders starke wissenschaftliche Fokus, der die Tagung für junge und etablierte Forscher attraktiv machte. Ebenfalls wichtig war es für die „DGI-Familie“-und ebenso für Fachmedien und Industrie -, sich endlich in größerem Rahmen wieder zu begegnen und intensiv auszutauschen. Dass dabei Biologie und Medizin die Hauptrolle spiel­ten, sollte für das breit aufgestellte.

November 2022

Dr. Claudio Cacaci
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